Unmündigkeit

Als „Unmündige“ gelten in Demokratien Menschen, die aufgrund ihres Alters und/ oder geistigen Zustandes minderjährig bzw. nicht (mehr) geschäftsfähig sind. Die bundesdeutschen Gesetze verwehren einer weiteren Gruppe von Menschen, obwohl diese nicht unbedingt unter die genannten Kriterien fallen, ebenso den Genuss der (vollen) Bürgerrechte. Hier vermeidet es aber die juristische Sprache von „Unmündigen“ zu sprechen, was die Betroffenen vor und nach dem Gesetz faktisch sind, und bezeichnet sie stattdessen als „Ausländer“. So werden u.a. ArbeitsmigrantInnen der Nachkriegszeit als „Ausländer“ benannt, weil sie nicht als Einwanderer, sondern als „Gast-Arbeiter“ ins Land geholt wurden. Und ihre Nachkommen sollen „Ausländer“ sein, weil sie nicht „deutschen Blutes“ sind. Denn nach wie vor ist der aktuelle deutsche Staatsbürgerschaftsparagraf aus dem Jahre 1913 von der Auffassung beseelt, Bürger dieses Landes seien vorrangig „Deutsche“, wenn sie von „Deutschen“ abstammen, d.h. „ethnisch Deutsche“. Daran hat auch die kosmetische Aufbesserung des Gesetzes von 1999 nicht grundsätzlich gerüttelt, nach der nur unter strengen Auflagen und loyalistischen Identitätskrämpfen das Recht vorgesehen ist, dass jede/r die deutsche Staatsbürgerschaft erhält, die/der in Deutschland geboren wird (ius soli).

Die juristische Unmündigkeit ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Den Eisberg selbst stellt die Diskriminierung von MigrantInnen und Minderheitsangehörigen in allen alltäglichen Lebensbereichen dar: Ob auf der Straße, in Kindergärten, Schulen, am Arbeitsplatz, etc., sie sind stets mit Vorurteilen und Entmündigung konfrontiert. Sie werden bevormundet von Mehrheitsangehörigen, die über die Definitionsmacht verfügen, Menschen ein- bzw. auszuschließen. Dieser Rassismus der gesellschaftlichen Mitte reproduziert die institutionelle Unmündigkeit und überliefert Fremd- und Selbstbilder vergangener Tage in die Gegenwart. Er sichert die Kontinuität der „deutschen“ Spielart des Rassismus, der sich in Begriffen wie „deutsche Leitkultur“ und „Schicksalsgemeinschaft“ ausdrückt und der sich auch im Alltag in der „ethnischen“ Definition des „Deutschen“ manifestiert: Wessen Name nicht germanisch, Akzent befremdlich und Hautfarbe dunkler ist, der/die kann nicht „Deutsche/r“ sein.

Mannheimer MigrantInnenverein der 2. und 3. Generation

Die Unmündigen e.V. ist eine Selbstorganisation von Angehörigen der zweiten und dritten Generation von ArbeitsmigrantInnen aus Süd(west/ost)europa. Ihr Hauptanliegen ist die Thematisierung und Bearbeitung, das Entlarven und Aufspießen des Rassismus. Dabei sind neben inhaltlich-sachlicher Beschäftigung vor allem satirische und provokative Verfahren die Kennzeichen der Unmündigen, mit Rassismus umzugehen.

Wir sind weder „Gäste“, „Fremde“ noch „Ausländer“: „Gäste“ bleiben kein halbes Jahrhundert, „Fremden“ begegnet man nicht jeden Tag und „Ausländer“ leben im Ausland. Auch der kaschierende Ausdruck „ausländische Mitbürger“ kann nicht zur Genüge verschleiern, dass wir politisch unmündig gehaltene Bürger dieses Landes sind.

Die Unmündigen entstanden aus einer Initiativgruppe zu Beginn der 90er Jahre. Seit 1995 ist die Gruppe aus der Region Mannheim ein eingetragener Verein mit ausschließlich ehrenamtlich arbeitenden Mitgliedern. Als eine a-nationale MigranntInnengruppe fördert sie mit (Selbst-)Ironie und Aufklärung die Emanzipation der Minderheitsangehörigen von nationalen Fremdzuschreibungen und aufgezwungener Untertanenpsychologie.

Weder lecken wir uns unterstellte Identitätswunden, noch tanzen wir wie Affen auf Integrationsfesten. Wir betreiben keine Herkunftspolitik. Unsere Heimat ist dort, wo unser Lebensmittelpunkt ist - hier in Deutschland. Und als „Ausländer“ im eigenen Land wollen wir dazu beitragen, den Begriff des „Deutschen“ neu zu besetzen: „Deutsche“ sind nicht nur die, die von „Deutschen“ abstammen, d.h. „ethnisch Deutsche“; auch Menschen, die hier geboren sind und/oder seit Jahren/Jahrzehnten hier leben, sind „Deutsche“, d.h. „politisch Deutsche“.

Ziel der Unmündigen ist es, diesen demokratischen Selbstverständlichkeiten in der Gesellschaft und Politik zum Durchbruch zu verhelfen. Deshalb fordern sie:

• die Einführung eines Antidiskriminierungsgesetzes,
• die Abschaffung der rassistischen Ausländergesetze,
• die uneingeschränkte Einführung des ius soli
....(Bodenrecht) im Staatsbürgerschaftsparagrafen
• Chancengleichheit durch aktive Integrationspolitik.


Forum für Bürger gegen Rassismus

Der Rassismus ist nur ein Ausgrenzungsmechanismus neben anderen Formen der Diskriminierung, und er hat vielschichtige Facetten. Auf den ersten Blick sind schwarze Deutsche anders vom Rassismus betroffen als Aus- und Übersiedler, ArbeitsmigrantInnen anders als Asylbewerber, oder Deutsche Sinti und Roma anders als Deutsche jüdischen Glaubens, etc. Aber alle genannten und noch weitere ungenannten Gruppen vereint, dass sie als Minderheiten offenen und versteckten, institutionellen und/oder alltäglichen Diskriminierungen ausgesetzt sind. Unabhängig davon, ob diese seit Jahren oder Jahrhunderten hier leben, sind sie für die Mehrheitsdeutschen keine „Bilderbuch-Deutschen“. Ausgangspunkt der Unmündigen ist es, diese kulturalistisch und rassisch motivierten Bilder, die mit der Realität Deutschlands als Einwanderungsland nichts zu tun haben, zu dekonstruieren. Denn die Migration ist historisch und gegenwärtig die Normalität und die „Reinheit“ von „Kulturen“ und „Völkern“ eine absurde Konstruktion.

Vor diesem Hintergrund verstehen sich die Unmündigen auch als eine Plattform für andere Minderheits- und engagierte Mehrheitsangehörige, die sich in vielfältiger Weise mit Formen, Ursachen und Mechanismen der Ausgrenzung, insbesondere mit Rassismus, beschäftigen (wollen). Als Forum suchen sie den Kontakt zu und das Engagement, die Kreativität und die Mitarbeit von interessierten Bürgern. Ob bei punktueller oder themenübergreifender, für kurz- oder längerfristige Zusammenarbeit, sie stellen als Plattform Wissen und Erfahrung zur Verfügung. Sie bieten Netzwerke und kompetente Diskussions- und Ansprechpartner für die künstlerische, politische und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Migration und Rassismus an.