Das Fest des deutschen Mitbürgers

Wer kennt sie nicht, die „Tage der ausländischen Mitbürger“ oder, wie sie mittlerweile in fortschrittlichen Städten heißen, die „interkulturellen Wochen“, bei denen „Italiener ihr Sizilien“, „Spanier ihr Flamenco“, „Türken ihr Kebab“ etc., präsentieren dürfen. Nach folkloristischem Augenschmaus und mit vollem Bauch diskutieren dann die „Deutschen“ über das „Ghettoproblem“ oder die „IntegrationsUNwilligkeit der Ausländer“. Diese, nicht nur aber insbesondere, bei (links)liberalen Deutschen beliebten und seitens von nicht wenigen MigrantInnen berüchtigten Festtage lassen in der Regel nur eines außer Acht: den Blick auf die kulinarischen Genüsse, die traditionellen Tänze und den Rassismus der deutschen Mitbürger.

Um dieser gesellschaftspolitischen Not Abhilfe zu schaffen, führten die Unmündigen 1994 das „1. Fest des deutschen Mitbürgers“ durch. Dabei konnte man bei Sauerkraut in Fladenbrot und Dattelbaumbier deutscher Folklore der Gruppe „Neppelhaube“ beiwohnen und am Ende des Abends zur Musik der Volksrocker „Original Hinterpälzer Woiknorzel“ gar selbst mitschunkeln. Zwischendurch gab es u.a. die unvermeidliche Festrede, die obligatorische Podiumsdiskussion und ein Gespräch mit dem Blutologen Prof. Dr. German Artius.

In der Festrede hob man vor allem das positive NEBENeinander mit den Deutschen, aber auch kritische Entwicklungen wie die Ghettoisierung der Deutschen in manchen („reichen“) Stadteilen, ihre Radikalisierung in einigen Fragen wie nach dem Kruzifixurteil oder die ethnischen Konflikte zwischen West- und Ostdeutschen hervor. Die Podiumsdiskussion setzte sich mit einem Brandanschlag auf eine deutsche Familie auseinander, die als Minderheitsangehörige jahrelang friedlich im „Ausländerstaat Mannheim-Jungbusch“ gelebt hatte. Im folgenden Gespräch führte dann der Blutologe Prof. Dr. German Artius seine letzten Forschungsergebnisse aus, die eindeutig die Hochwertigkeit des deutschen Blutes belegten, weshalb er den „Schutz der Reinheit des deutschen Blutes“ im Grundgesetz einforderte.

Das Politkabarett „Fest des deutschen Mitbürgers“ beruht auf dem ironischen Verfahren der Perspektivenumkehr. Mit dieser Technik wurden gewohnte Denk- und Diskursmuster aufgenommen und perspektivisch gebrochen, wodurch sich die Rezeption/Reflexion der Zuschauer zwischen den beiden Polen der analytischen und unterhaltsamen Auseinadersetzung fruchtbar zu abwechseln schien. In den Jahren 1994 bis 1996 wurde das Stück neben Mannheim auch in Ludwigshafen und Heidelberg aufgeführt. Insbesondere für dieses Projekt, aber allgemein für die Kontinuität ihrer Arbeit wurden die Unmündigen im Rahmen des „Integrationswettbewerbs 2002“ vom Bundespräsidenten Johannes Rau mit einer Einladung ins Schloss Bellevue und Urkunde ausgezeichnet.

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